24. Februar 2024
Erneuerbare Energie ist kein „Zufall“
Ab und an hört man die Aussage, regenerative Energie aus Windkraft oder Photovoltaik sei „Zufallsenergie“, denn man könne nie wissen, wann man sie nutzen kann. Deshalb sei es sicherer, auf grundlastfähige Energieträger wie Kohle oder Gas zu setzen. Solche Aussagen sind jedoch falsch. Sie vergleichen zwei ganz verschiedene Aspekte: die Gewinnung von Energie auf der einen Seite, und Transport und Speicherung auf der anderen. Öl, Gas und Kohle werden in Förderstätten in den Weltmeeren, am arabischen Golf und anderswo auf der Welt mit großem Aufwand gefördert, dann per Schiff oder in langen Pipeline-Systemen zu den Abnehmerstaaten transportiert und dort in Speichern gelagert, bevor sie zum Verbraucher gelangen. In Deutschland wird bis zu einem Viertel des Jahresbedarfs in riesigen Gastanks gespeichert! Dieser gewaltige logistische Aufwand ist eine unabdingbare Notwendigkeit, um fossile Energie nutzen zu können. Im Gegensatz dazu wird bei Wind- und Solarkraftwerken unmittelbar elektrische Energie erzeugt, die über das Leitungsnetz sofort vom Verbraucher genutzt werden kann. Das hat dazu geführt, dass man regenerative Energie direkt ins Netz einspeist und kein mit fossiler Energie vergleichbares System aus Lager- und Transportkapazitäten aufgebaut hat.
Regenerative Energie und Speicher
Selbstverständlich kann aber auch regenerative Energie gespeichert werden, z.B. in Pumpspeicherwerken, Batterien, als Wärme oder durch Umwandlung in Grünen Wasserstoff. Die viel diskutierte „Wasserstoffwirtschaft“ ist ein wesentlicher Schritt, um zukünftig regenerative Energie genau wie Öl oder Gas als flüssigen Energieträger zu lagern. Am schnellsten wachsen derzeit aber die Kapazitäten von Batteriespeichern: in Deutschland waren 2022 bereits 4,5 GW an Speicherkapazität in privaten Haushalten installiert und die Industrie beginnt gerade sogenannte Großspeicher zu errichten, übrigens vorzugsweise in stillgelegten Atom- und Kohlekraftwerken. Die Firma EnBW arbeitet z.B. mit Audi an Großspeichern aus gebrauchten E-Auto-Akkus. In Europa soll durch einen Mix an Technologien bis zum Jahr 2030 eine elektrische Speicherkapazität von mehreren hundert Gigawatt entstehen.
Regenerative Energie reicht zwar alleine heute noch nicht aus, den Strombedarf vollständig zu decken, aber immerhin wurden 2023 schon etwa 50% des Bruttostromverbrauchs in Deutschland daraus gedeckt. Und damit liegt Deutschland nur auf Platz 12 in Europa: alleine sechs Länder erzeugten 2023 zwischen 63% und 93% ihres Stroms regenerativ – und nur eines davon besitzt daneben noch Kernkraftwerke! Der oft behauptete „Sonderweg“ Deutschlands ist also keiner – die Umstellung von fossiler Energie auf Wind- und Solarkraft ist unabhängig von Klimaschutzzielen eben auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Preisexplosion für Energie nach Beginn des Ukrainekrieges wurde ausschließlich durch die Entgleisung des Gas- und Ölmarktes ausgelöst: die Produktionskosten für Wind- und Solarenergie haben sich überhaupt nicht geändert! Hätten wir Strom noch wie früher vollständig aus fossilen Energien produziert, wären die Auswirkungen durch den Ukrainekrieg mit hohen Energiekosten und Inflation noch weitaus gravierender gewesen. Bis 2050 streben wir in Europa eine vollständig nachhaltige Stromproduktion an – und werden damit vor zukünftigen Verwerfungen auf dem fossilen Energiemarkt geschützt sein.
Wenn durch den Ausbau von Stromtrassen und Speichertechnologien die Speicherung von Wind- und Solarenergie in einigen Jahren so selbstverständlich wird, wie es bei fossilen Energieträgern schon immer war, dann sind tagesabhängige Schwankungen bei den Energieerträgen ohne Bedeutung. Vier entscheidende Vorteile von regenerativer Energie bleiben aber: sie ist klimafreundlich, sie ist für Milliarden Jahre unerschöpflich – ganz im Gegensatz zu Öl und Gas – und wir produzieren sie vor Ort und sind damit nicht mehr von einzelnen Staaten erpressbar. Der vierte Vorteil ist: sie ist nachweislich günstiger als fossile Energien! Die Erzeugung von Strom mittels Erdgas ist laut Erhebung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages in etwa doppelt so teuer wie aus Wind und Sonne, Kohle und Atomkraft sind sogar noch teurer. Das hat mit Frankreich nun auch der Staat begriffen, der bislang den weltweit höchsten Anteil an Atomstrom nutzt – und dafür Dutzende Milliarden an Staatssubventionen aufwenden muss. Frankreich hat sich nun ebenso wie Italien entschlossen, in großem Umfang Windanlagen aufzubauen. Der dafür notwendige Umbau der nationalen Stromsysteme um sich von fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen, verursacht in der Übergangsphase natürlich Kosten, genau wie bei uns in Deutschland. Die Aussage, dass in Deutschland wegen erneuerbarer Energien höchste Strompreise gelten, ist deswegen in doppelter Hinsicht falsch: zum einen ist es der Umbau des Stromnetzes, der die Kosten verursacht, nicht der Preis von Wind- und Solarstrom. Zum anderen zahlte man die höchsten Strompreise 2023 auch nicht bei uns, sondern in den Niederlanden, Belgien und Rumänien. Lassen Sie sich also nicht von „alternativen Fakten“ in die Irre führen: Wind- und Sonnenenergie sind beide auf den permanenten Energieeintrag der Sonnenstrahlung in unsere Atmosphäre zurückzuführen und damit alles andere als Zufall, sondern für die nächsten Milliarden Jahre der sicherste Weg in die Zukunft der Menschheit. Wer das leugnet, riskiert aus ideologischer Engstirnigkeit unsere wirtschaftliche und ökologische Zukunft!
Dr.-Ing. Guido Huppertz